Ronen Steinke – Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich
Von der Haftanstalt in Plötzensee, die hauptsächlich dazu dient, Menschen die ihre Geldstrafe nicht zahlen können, stattdessen Tagessätze in Haft absitzen zu lassen, schreibt Ronen Steinke: „Wenn man genau hinhört, hört man die Schreie der Männer, die abends auf kaltem Entzug sind, drinnen im Haus A. Allein in ihren Zellen. Ist man erst mal draußen, verstummen sie.“
Steinke formuliert damit treffend unser Verhältnis zu Justiz und Strafvollzug, solange wir nicht selbst davon betroffen sind. Und uns wird das nie passieren, weil es ja nicht so schwer ist, alles richtig zu machen, und nicht gegen „das Gesetz“ zu verstoßen. Dieser Satz veranschaulicht darüber hinaus das Prinzip des Rechtsstaats, dass die Delinquenten, diejenigen, die das Bild einer sauberen, sicheren Stadt stören, weggesperrt gehören, damit der anständige Teil der Bevölkerung unbehelligt seinen Geschäften nachgehen kann. Dass es „das Gesetz“ nicht gibt, sondern Auslegungen des Gesetzes, je nachdem wie wohlhabend derjenige ist, der mit ihm in Konflikt gerät, und dass es gerade für arme Menschen Urteile gibt, die niemandem, schon gar nicht der Gesellschaft als Ganzer dienen können, weil sie einfach nur die Vergehen reproduzieren die Grundlage für die Strafe gewesen sind, versteht man deutlich nachdem man Steinkes Buch gelesen hat.
Ein sehr wichtiges Buch, weil es Einblicke gibt, in ein System, das fortwährend gegen das Prinzip der Gleichheit verstößt, dem es sich verpflichtet hat.
Das beginnt mit den Ersatzstrafen. Also dem Prinzip, dass Menschen in Haft müssen, wenn sie eine Geldstrafe nicht bezahlen können. „1903 sprach der damals prominenteste Kriminologe, Gustav Aschaffenburg, kritisch von einer Klassenstrafe, weil in diesen Fällen nicht das Ausmaß der Schuld über die Inhaftierung entscheide, sondern lediglich der Geldbeutel des Verurteilten.“ Etwas mehr als 100 Jahre später gibt es ganze Hafthäuser, die nur diesen Straftätern vorbehalten sind, aber auch vereinzelt Versuche, wenigstens einige von ihnen aus der Haft freizukaufen.
Aber hier endet das Phänomen der Klassenstrafe nicht. Denn in Deutschland hat ein Verurteilter nur in wenigen Fällen das Recht auf einen vom Staat bezahlten Anwalt. Pflichtverteidiger werden nur bei Straftaten gestellt, die so schwer wiegen, dass sie voraussichtlich zu einer Haftstrafe nicht unter einem Jahr führen.
„Die Entscheidung, ob ein Angeklagter, der kein Geld hat, einen Strafverteidiger bekommt, trifft allein die Richterin, nicht etwa eine neutrale Instanz von außen, ein Sozialamt zum Beispiel. Und selbst wenn ein Pflichtverteidiger zur Verfügung gestellt wird, wird der finanziell so kurz gehalten, dass er kaum Zeit und Energie in den Fall investieren kann. „Für alles, was ein Verteidiger zu lesen, zu recherchieren und zu besprechen hat bis zu seinem ersten Auftritt vor Gericht, für die gesamte Vorbereitung also, zahlt der Staat oft nur 145 Euro.“ So sieht die Gleichheit vor dem Gesetz aus.